Kreuznacher Konfirmanden erkunden zahlreiche Brennpunkte im Stadtgebiet
Von Fred Lex – 24. 03. 2016
BAD KREUZNACH – Man könnte das Ganze als eine Rallye bezeichnen: Die Konfirmanden Leon, Sidney und Mark bekommen einen Zettel mit fünf Adressen von Ladengeschäften in der Innenstadt ausgehändigt und sollen herausfinden, wo und in welchem Umfang Waren mit dem Siegel „Fairtrade“ zu finden sind. Sie sollen also gewissermaßen in einer Stichprobe fixieren, welchen Stellenwert in Bad Kreuznach die Produzentenorganisation einnimmt, die mit starker Konsequenz soziales, ökologisches und ökonomischen Handeln zu ihrem Maßstab gemacht hat. Solche Konsumkritische Stadtrundgänge gehören zum Konfirmandenunterricht in der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Kreuznach.
Exkursion in Innenstadt
AUSTAUSCH
In einer Abschlussveranstaltung am Dienstag, 3. Mai, 18 Uhr, in der Markuskirche, zu der auch die Eltern eingeladen sind, stellen die Jugendlichen ihren Praktikumsort vor und erfahren durch die anderen Konfirmanden was sonst noch passiert ist, und dass „dies alles mit Kirche zu tun hat“, wie Pfarrerin Weiser es formuliert.
Die Exkursion von Leon, Sidney und Mark ist Teil eines umfangreichen Praktikums, das unter anderem die Teilnahme an Kinderbibelwoche und Gottesdienstgestaltung, Besuche im Seniorenheim, in Kindergärten, im Treffpunkt Reling, in der Kantorei, in der jüdischen Gemeinde und im Arbeitsbereich des Küsters einschließt. 40 Konfirmandinnen und Konfirmanden engagieren sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Verlauf der Unterrichtswochen an diesen Orten.
„Überall erfahren sie dort, wie Kirche arbeitet, wo sich Menschen warum engagieren und was das mit unserem Glauben zu tun hat“, erläutert Pfarrerin Ute Weiser. In der Generation der Großeltern bildeten Auswendiglernen und Aufsagen von Bibel- und Katechismus-Texten den Schwerpunkt des Konfirmandenunterrichts. Das hat sich aber seit den 70er Jahren geändert. Die Kirche zeigt heute der Generation der 14-Jährigen die Arbeit an den Brennpunkten des Alltags.
Warum sich Menschen engagieren, um das Ungleichgewicht im weltweiten Handel abzubauen, erfahren die Konfirmanden von Karsten Levsen (Bad Kreuznach) und Gertrude Weißgerber (Wallertheim) im Weltladen auf der Alten Nahebrücke. Im Weltladen ist praktisch alles Fairtrade. Dort kann man sich ein Bild darüber machen, wofür das Fairtrade-Siegel steht, was die Bestandteile des Fairtrade-Standards sind und wie in den Produktionsgemeinschaften überall in der Welt gearbeitet wird.
Die Fairtrade-Programme bieten Kakao-, Zucker- und Baumwollproduzenten die Chance, höhere Verkaufserfolge unter sozialen, ökologischen und ökonomischen Bedingungen zu erzielen. In einem Film sehen die Besucher aus dem Konfirmandenunterricht wie Kakaoanbauer an der Elfenbeinküste durch Fairtrade-Konditionen ihre Existenz sichern: Eine Wasserpumpe für alle kann angeschafft werden, eine Frau, die ihren Mann verloren hat, erwirbt eine Parzelle, auf der sie ihren Lebensunterhalt erwirtschaftet.
Karsten Levsen ist Wissenschaftler, hat selbst schon einen Weltladen geleitet und ist gemeinsam mit Gertrude Weißgerber in der Bildungsarbeit engagiert. Sie haben das Programm für die Konfirmanden vorbereitet und beteiligen sich, begleitet von Praktikantin Sarah, an dem Erkundungsgang durch die Ladengeschäfte. Ist Bad Kreuznachs Handel im Fußgängerbereich der Innenstadt gut mit Fairtrade-Produkten ausgestattet? „Ein Anfang ist gemacht“, urteilt Levsen mit verhaltenem Optimismus. Die Ausstattung eines Verbrauchermarkts in der Salinenstraße mit den gewünschten Waren sei sogar „enorm“.
Auf jeden Fall werden die drei Konfirmanden in allen Läden fündig. Nirgendwo gibt es Zurückhaltung oder gar Ablehnung vonseiten des Personals. Die Mitarbeiter sind über die Bedeutung des Fairtrade-Siegels informiert und zeigen den Jugendlichen die entsprechend zertifizierten Waren. Ein Textilgeschäft hat sogar auf seinem Wegweiser im Haus das Fairtrade-Siegel neben anderen prominenten Handelsmarken angebracht. „Wir dokumentieren alles auf Video“, erklärt Sidney. Die Dokumentation soll später auf einer Abschlussveranstaltung gezeigt werden.
Man wird auf dem Video so allerhand zu sehen bekommen: neben Textilien auch Rosen und Schleierkraut, Schokoladetafeln und Kaffeetüten, sogar einen Eisbecher, auf dem die Inhalte von Zucker, Kakao und Vanille in Prozenten fairtrade-gerecht angegeben sind. Insgesamt werden es am Ende mehr als zehn Produkte sein, die bei dieser Aktion aufgelistet wurden. Gertrude Weißgerber hat dem Personal in den Ladengeschäften für die Auskunftsbereitschaft und die Abwicklung der Frageaktion gute Noten gegeben. „Vor fünf Jahren war es noch so, dass die Mitarbeiter erst den Pressechef rufen mussten, bevor sie etwas sagen durften, das hat sich erfreulicherweise geändert.“ Die Nachfrage durch die Kundschaft nach zertifizierten Waren hat beim Handel offensichtlich eine Neuorientierung ausgelöst.